/// PALOONKA CLASSIFIEDS


BETWEEN THE DEVIL AND THE DEEP BLUE SEA


THE RESURRECTION OF CHONK FLEEDLE

Chonk Fleedle
"Dennis Graefs Performance THE RESURRECTION OF CHONK FLEEDLE ist hinterhältig, stark assoziativ und ziemlich ausgebufft. Chonk Fleedle, das Alter-Ego von Dennis Graef stimmt seine Gitarre, open-tuning durch alle Saiten, in mehrere Tonarten, wobei der Stimmvorgang des Instruments zu einem ca. 10-minütigen Konzert wird. Das Stück hat eine meditative Grundstimmung und wird von Dennis Graef mit stoischer Haltung vorgetragen." —Prof. Ulrich Eller, Hochschule für Bildende Künste, Braunschweig

01.12. Hochschule für Bildende Künste, Braunschweig
07.10. Georg Kolbe Museum, Berlin
04.09. Kunstverein Wolfenbüttel


Sarah Frost

betwixt and between
Dennis Graefs WHEN THE MUSIC'S OVER

Dennis Graefs Installation WHEN THE MUSIC'S OVER im Kunstverein Wolfenbüttel unterwandert gegebene Ordnungen. Der Künstler hat Wände gebaut, die neue Räume bilden, Öffnungen mit Barrieren versperrt und schmale Gänge konstruiert. Der Besucher wird durch einen Parcours geführt und bewegt sich stets in einem flirrenden Dazwischen – auf der Schwelle von Davor und Dahinter, zwischen Beobachten und Beobachtetwerden, zwischen Bühne und Kulisse.

When the Music's OverEine rot-weiß gestreifte Wand dominiert den ersten Raum. Ein clowneskes Objekt steht davor und lässt Assoziationen einer Zirkusmanege anklingen: Die mit Konfetti gefüllte Louis Vuitton-Tasche mit Sprengsatzvorrichtung wirft Fragen auf. Hat hier eine Aufführung, ein aberwitziges Spektakel, stattgefunden und wir finden nur die Überbleibsel vor? Die zentrale Präsentation der Tasche könnte auch eine Versuchung sein, den Griff herunterzudrücken und zu schauen, was passiert.[1] Dann wären wir die Darsteller. Im gleichen Moment bricht der museale Sockel diese Vorstellung einer bühnenhaften Situation und verortet den Raum wieder in einer Kunstinstitution.[2] Der Besucher muss bereits hier seine eigene Rolle innerhalb der Ausstellung befragen.
Eine weitere Irritation wartet im Durchgang zum zweiten Raum. Eine Möhre ist so tief an eine Schnur gehängt, dass sich mancher Besucher den Kopf daran stößt. Absurd erscheint das orange Objekt zuallererst, doch dann eröffnet es vertraute Bilder. Die Karottenrute ist ein populäres Motiv aus Cartoons. Eine Figur reitet auf einem Esel und hält ihm eine Angel mit Köder vor die Nase. Ein satirisches Bild für Gier und Macht, das seinen Ursprung in der politischen Karikatur hat.[3]
Die Möhre markiert das Zentrum. Von diesem Standpunkt aus sehen wir den ersten Raum und gleichzeitig die Bretterkonstruktion dahinter, aber auch in den zweiten. Entlang der streng in Linie gehängten Pappbilder türmt sich eine Holzbarriere auf und verschränkt den weiteren Weg. Sie ist ein Versatzstück der vorderen Bretterkonstruktion und gibt einen Spalt in einen dunklen dritten Raum frei. Dort offenbart sich eine schwarz gestrichene Bretterwand mit fünf kreisrunden Löcherpaaren, aus denen Augen starren. Ein unheimliches Gefühl breitet sich angesichts dieser anonymen Beobachter aus. Ihre Augen bewegen sich, zwinkern und wirken sehr real – doch ohne Ausdruck und Wertung. Der Besucher rückt in den Fokus eines fiktiven Publikums. Eine Überwachungssituation wird nachgestellt und macht die Dystopie vom Big Brother erfahrbar.[4]
Ein offener Gang hinter die Kulissen enttarnt die Situation als Trugbild. Die vermeintlichen Observierer sind Projektion – Videos, die auf Flatscreens laufen. Täuschung und Enttäuschung liegen nebeneinander. Der schlauchige Weg führt weiter hinter die Kulissen zurück zum Anfang des Rundgangs. Die provisorischen Holzbretter sind voll von Astlöchern und erlauben wiederum einen ausschnitthaften Blick auf den ersten Ausstellungsraum. So wird der Besucher zum Voyeur, der das Geschehen im Vordergrund beobachten kann. Diese Rollenumkehrung greift auch in den großen Raum davor. Der Besucher könnte hinter einem Astloch ein glotzendes Auge entdecken, das aber nun doch real ist.

Dennis Graefs Kunst generiert sich aus dem Zeitgeist. Soziale Phänomene, Popkultur und politische Ereignisse greifen inhaltlich ineinander und halten dem Besucher einen Zerrspiegel vor. Für WHEN THE MUSIC'S OVER reduziert der Künstler die Mittel. Effekte entfalten sich subtil. Wenige Ausstellungselemente tippen ambivalente Bilder, Themen und Atmosphären an, die immer wieder gestört werden und nie zu einem Abschluss kommen. Nichts erscheint eindeutig lesbar. Alles bewegt sich im Dazwischen.
Von den Medien hervorgebrachte Schlagworte ploppen auf und verknoten sich miteinander. Etwa der Trend zur Selbstinszenierung durch Twitter, Facebook und Youtube, in der ein jeder der Hauptdarsteller sein kann. Gleichsam sind Begriffe wie Überwachung, Geheimdienst und der gläserne Mensch gegenwärtig. Auch die Handtasche - so harmlos und lustig die Konfettifüllung erscheint, heute ist eine alleinstehende Tasche im öffentlichen Raum ein Alarmsignal und der Sprengsatz überspitzt sie in ein Symbol für Terror. Die durchlöcherte Wand dahinter ruft zudem das brutale Szenario eines Beschusses auf. Nicht zuletzt rekurieren die rot-weißen Längsstreifen auf die amerikanische Flagge und zitieren U.S.-kritische Installationen des Künstlers.[5]

Der Sound, der in vielen Arbeiten des Künstlers als essentielles Element – oder wie er selbst sagt als Material – eingesetzt wird, findet einzig in Form eines inneren Klangs statt. Die Reihe von Pappbildern ist handschriftlich mit Texten beschrieben und wiederholt immer gleiche Redewendungen und Sprüche aus dem alltäglichen Sprachgebrauch: »second banana second banana second banana« oder »on and on and on and on«.[6] Ein rhythmisches Klangbild entsteht. Die stetige Wiederholung gleicht strukturell einem Mantra, einem heiligen Vers, der etwa im Hinduismus repetitiv rezipiert, zum Teil gesungen wird und zu einer Konzentration, Meditation bis hin zur Trance führen kann.
Auch die Sprengsatztasche birgt ein Geräusch, den Knall einer Explosion. Das Bild vom Zonk, das unscheinbar im Fenster steht, lässt im Kopf den typischen Jingle der Fernsehshow Geh auf Ganze aufklingen, der sagt: leider verloren.[7] Oder das auf Holz gedruckte Filmplakat von Scream of the Butterfly, einem trivialen B-Movie von 1965, tritt wiederum bekannte Laute los. Im Motiv der aufreizenden Frau und des turtelnden Paares zusammen mit dem Schriftzug »no one could satisfy her...« sind Ausrufe der Lust eingeschrieben. Zugleich evoziert der Filmtitel die abstrakte Vorstellung eines Schmetterlingsschreis. Scream of the Butterfly ist auch eine Textzeile aus dem The Doors-Song When the Music's Over (1967), der der Installation seinen Namen gibt. Während der Konzeption dieser Ausstellung hatte Dennis Graef eine Legende im Kopf, die sich um die sinkende Titanic rankt. Als sich Gäste und Crew panisch zu retten versuchten, spielte die Schiffsband weiter und weiter – on and on and on – bis zu ihrem Tod. Eine Metapher für die dystopische Atmosphäre der Ausstellung. Die Installation baut eine konfrontative Spannung auf – getragen von dem allzeit präsenten Gefühl der Bedrohung wie der leisen Ahnung, alles könnte sich in der nächsten Sekunde von selbst zerstören.
KABOOM!

When the Music's Over, Turn Out the Lights.

[1] Vormittags wird die Tasche theatral von der Sonne beleuchtet. Das einfallende Tageslicht formt durch eine Fensteröffnung einen Spot auf Objekt und Sockel, der weiter Richtung Wand wandert und sich etwas später zerstreut.
[2] Zudem werfen die kontrastreichen Längsstreifen der Wand Bezüge zu den in situ-Arbeiten von Daniel Buren, aber auch der Op-Art auf.
[3] Das Bild von dem Karottenköder taucht erstmals im Ersten Weltkrieg auf. Der Karikaturist Boardman Robinson veröffentlichte 1916 den Antikriegscartoon Victory, auf dem der personifizierte Tod mit einer Karottenangel auf einem Esel reitet. Daraus hat sich im Englischen Sprachgebrauch die Redewendung carrot and stick, Zuckerbrot und Peitsche, entwickelt und meint eine politische Strategie aus Geben und Bestrafen, wie es beispielsweise Josef Stalin während des Kalten Krieges mit Osteuropa praktiziert hat. Vgl. Brians, Paul, »Carrot on a stick« vs. »the carrot or the stick.«, in: Common Errors in English Usage, Washington State University 2003
[4] George Orwell visioniert in seinem Roman 1984 bereits 1949 die Dystopie eines allumfassenden Überwachungsstaats.
[5] Zum Beispiel die Ausstellungen STARS AND STRIPES FOREVER, Galerie Hans Tepe, Damme 2012; OVERGLAZED ALOHA, Kunstverein Wolfsburg, 2014 oder das Objekt TO BE IN THE DOGHOUSE, 2006
[6] Die englische Redewendung second banana heißt übersetzt zweite Geige, im Sinne von nicht die Hauptperson sein.
[7] Der Holzdruck zeigt einen Screenshot der Fernseh-Gameshow Let's make a deal (dt. Geh aufs Ganze) aus den 1990ern, in der ein Kandidat die Möglichkeit hat, sich für eins von drei Toren zu entscheiden. Entweder gewinnt er einen Preis oder verliert alles. Dann erhält er den Zonk. Der Kandidat wird mit dem sogenannten Ziegenproblem – auf dem Druck von einem Alpaka versinnbildlicht – konfrontiert, das anhand von Wahrscheinlichkeitstheorien behauptet, der menschliche Verstand neige zu Trugschlüssen. Vgl. Whitaker, Craig F., Ask Marilyn, in: Parade Magazin N. 9, New York, September 1990, S. 16f.

Dennis Graef – When the Music's Over, Kunstverein Wolfenbüttel, 2015 [10 MB]


Justin Hoffmann

Hülle
Dennis Graefs Ausstellung OVERGLAZED ALOHA

Overglazed AlohaFür seine Ausstellung OVERGLAZED ALOHA veränderte Dennis Graef die Raumsituation des Kunstverein Wolfsburg vollkommen. Ausgehend von den besonderen Gegebenheiten, den Renovierungsarbeiten von Schloss Wolfsburg, die eine teilweise Schließung der Fensteröffnungen zur Folge hatten, entschloss sich der Künstler einen dunklen Raum, eine Art Black Box, zu konstruieren. Das bestehende, flexible Wandsystem des Kunstvereins wurde durch seine Interventionen, Verschalungen, vollkommen verborgen, alle Fenster im Hauptsaal zugemacht. Dadurch war es Graef möglich, eine völlig autonome Lichtregie zu entwerfen. Das Hinzufügen einer Schicht, das in der Palisade aus Holzbrettern, die das gesamte Wandsystem verdeckte, zum Tragen kam, besitzt noch eine inhaltliche Ebene, die sich durch die gesamte Ausstellung zog: die des Verhüllens und Beschichtens. Selbst das ungewöhnliche Wort des Ausstellungstitels, »overglazed«, nimmt darauf Bezug. Bei einer Glasur (»Glaze«) wird ein Gegenstand, meist aus Keramik, mit einer wasserundurchlässigen Schicht überzogen. Mit dem »Overglaze« wird noch eine zusätzliche Glasur, z. B. bei einer Porzellanmalerei, hinzugefügt. In der Regel wird das Objekt dadurch veredelt. Es bekommt einen glänzenden Überzug. Der zweite Teil des Ausstellungstitels ist eine Metapher auf die amerikanische Staatsmacht, verkörpert durch ihren Präsidenten Barack Obama, der in Honolulu auf Hawaii geboren wurde. Sein Konterfei wurde in der Ausstellung auf die gelbe Palisade gemalt. Aloha stellt in der hawaiianischen Sprache die Grußformel dar, besitzt aber noch andere Bedeutungsebenen wie Liebe und Mitgefühl. Der Titel repräsentiert für den Künstler die schöne Fassade und leeren Versprechen, die die Politik der USA heute formuliert. Die Realität sieht anders aus. Den freundlichen Gesten und Beteuerungen stehen die Zunahme von Drohnen- Einsätzen und die Bespitzelung selbst befreundeter Nationen entgegen. Sein Wahlversprechen, das Gefangenenlager Guantanamo aufzugeben, löste Obama nie ein.

Die künstlerische Produktion ist in OVERGLAZED ALOHA als das Hinzufügen einer Schicht interpretiert, etwas Vorhandenes wird transformiert: Ein Filmausschnitt mit Buster Keaton wird geloopt und spiegelverkehrt gezeigt. Für die Soundinstallation TO BE IN THE DOGHOUSE wurde die Stimme von Bill Clinton im Stil eines Dub-DJs verändert und vervielfältigt. Auch das »Kampfgeschrei« von Tennisspielerinnen wurde bearbeitet, ebenso das Quietschen ihrer Schuhe, das den Künstler an das Scratchen von DJs erinnerte. Nach der Methode der Dekonstruktion kann kulturelle Arbeit als Abtragen und Hinzufügen von Schichten interpretiert werden. Jede Formulierung wird zum weiteren Anbringen einer neuen, hüllenden Schicht. Selbst dem Ausstellungsbesucher wurde eine weitere Ebene hinzugefügt. Durch Löcher in der gelben Palisade scheinen ihn mehrere Augenpaare anzusehen. Der Beobachter wird beobachtet. Die paarweisen Löcher suggerieren eine zweite Rezeptionsebene und lassen an Überwachung denken.

Dennis Graefs Installation OVERGLAZED ALOHA wird vor allem von skulpturalen Elementen geprägt, die an Kisten erinnern. Holzkisten sind ein einfaches Verpackungsmaterial, die etwas verbergen. Sofort wird beim Betrachter die Frage evoziert: Was befindet sich in den Kisten? Dass der Inhalt überraschen kann, deutet die einzige geöffnete Kiste der Ausstellung an. Der Besucher sieht, dass einem aus einer Kiste etwas entgegenspringen kann, wie in diesem Fall ein an einer dicken Feder befestigter Blumenstrauß. Die Arbeit lässt an einen Springteufel denken. Als Jack-in-the-Box ist dieser vor allem im englischsprachigen Raum weit verbreitet und besonders als Neujahrsgeschenk für Kinder beliebt. Was befindet sich aber in den anderen Holzbehältern? Ihre Schablonenbeschriftung bzw. -bemalung lässt an Kisten denken, die zum Waffen- und Munitionstransport benutzt werden. Der Bezug zur militärischen Präsenz der Super-Macht USA wird erkennbar. Die Ambivalenz schöner Schein und Fröhlichkeit versus Gewalt und Macht bildet den skeptischen Grundton dieser Ausstellung. Die bunte Bemalung der Kisten, die bisweilen mit dem Emblem einer Palme verziert sind, wirkt konträr zum konventionellen Verwendungszweck dieser Behälter, die den Gebrauch von Gewalt repräsentieren - zwischen ihnen ein »Strauß« aus Baseballschlägern in den Farben der US-Flagge.

Das Treiben der Supermächtigen in Frage zu stellen ist immer riskant. Die US-Staatsmacht zu kritisieren, so wie es Dennis Graef mit seinen künstlerischen Arbeiten praktiziert, ist unbequem und bekommt nicht von allen Beifall. Vielleicht sägt man sich damit selbst den Ast ab, wie es der Künstler gegen Ende seiner Ausstellung in einem Video vorführt. Egal, Kunst muss so sein...

Dennis Graef – Overglazed Aloha, Kunstverein Wolfsburg, 2014 [12.1 MB]


Sebastian Jaehn

Now I Wanna Be Your Dog

To be in the doghouse ist eine Redewendung, die soviel bedeutet wie in Ungnade gefallen sein. Der Jammer, der in dieser Formulierung mitschwingt, beschreibt die als ausweglos empfundene Lage, Gegenstand eines Ärgernisses geworden zu sein.

To be in the doghouseTO BE IN THE DOGHOUSE ist der Titel einer Klangskulptur von Dennis Graef: eine verwaist wirkende Hundehütte, aus der mantraartig in immer gleichen Worten eine seltsam vertraute Stimme erklingt. Die Materialien der Arbeit von 2006 bestehen aus einer Hundehütte, einem Mobiltelefon als MP3-Player sowie Lautsprechern, über die Versatzstücke eines Interviews mit Bill Clinton aus dem Innern der Hütte nach Draußen hallen:
»I think I did something for the worst possible reason - just because I could. I think that that’s the most - just about the most - morally indefensible reason that anybody could have for doing anything; when you do something just because you could. I thought about it a lot.«
Die Worte Bill Clintons sind einem CBS Interview von 2004 entnommen. Sie bilden das Ausgangsmaterial der Klangkomposition im Innern der Hütte. Das Sprachmaterial wurde verdoppelt und läuft in Endlosschleife auf zwei gleichzeitig einsetzenden Tonspuren. Anfänglich noch synchron, entfernt sich durch eine minimale Phasenverschiebung eine der beiden Spuren stetig von der anderen bis nach einigen wiederholenden Durchläufen beide wieder zueinander finden und unisono erklingen. Steve Reich hat diese Technik des phase shifting erstmals 1965 für It’s Gonna Rain, 1966 für Come Out verwendet, zwei Kompositionen, die ebenfalls auf gesampeltem Sprachmaterial beruhen. Bei ihm noch mit Magnetbändern produziert, entsteht der beschriebene Effekt durch minimale Unterschiede der Geschwindigkeit oder der Länge der beiden Tonspuren. Reich kam es darauf an, den emotionalen Gehalt des gesampelten Materials zu erhalten und ohne Tonhöhe und Klangfarbe zu verändern, die musikalische Qualität sowie den Inhalt des asymmetrisch geloopten Sprachmaterials durch die prozesshafte Wiederholung rhythmisierend zu verstärken. Für TO BE IN THE DOGHOUSE nutzt Dennis Graef diesen Effekt, um das von Bill Clinton Gesagte musikalisch und inhaltlich zu verdichten. Clinton, der die verwendeten Sätze bezüglich seiner außerehelichen Beziehung zu Monica Lewinsky sagte, resümierte damals seine Lage auch mit den Worten: »I was in the doghouse«. Nicht ohne Witz überträgt Dennis Graef dieses Idiom in eine Klangskulptur, die den Satz wortwörtlich nimmt: Clintons Reue-Inszenierung wird in eine tatsächliche Hundehütte verpflanzt. Als karge Holzhütte einsam in Szene gesetzt, wird sie damit zur Büßerkemenate aus der die Stimme des ehemaligen Präsidenten dringt. Gebetsmühlenartig beschwören die Worte Clintons den Versuch, ein gesellschaftlich geächtetes Verhalten – den Ehebruch – zu erklären. In der Komposition von Dennis Graef spiegeln die sich voneinander entfernenden Tonspuren die Störung des in der Rede thematisierten Verlusts an Gleichklang mit der gesellschaftlichen Norm. Derart aus dem Takt geraten, scheint die technisch in Wiederhall gebrachte Stimme ihren eigenen Worten nachzuhorchen, und sich in deren Echo zu verlieren. Gleichzeitig gibt sie gehorsam wieder, was landesweit in dem ursprünglich als Interview gesendeten Sprachmaterial von ihr erwartet wird. Wie bei der Nymphe Echo, die nur noch fähig war die letzten an sie gerichteten Worte zu wiederholen. Diese wurde durch die Strafe Heras, als deren Geschichtenerzählerin sie die außerehelichen Liebesabenteuer Zeus’ deckte, zur bloßen Stimme. Ihres eigenen Sprachvermögens beraubt wurde sie ganz zum Objekt der Rede der anderen. Die Produktivität ihrer Stimme erschöpfte sich allein im emotionalen Ausdruck. Auch bei Dennis Graef enthebt die kompositorische Verfremdung des Sprachmaterials Clintons die – zunächst durch die Wiederholung insistierend wirkende – Rede zunehmend ihrer sinnstiftenden Bedeutung und überführt sie in das sinnentleerte Echo der reinen Musikalität der Stimme. Reflektion und Reue – »I thought about it a lot« – werden zum Gesang. Die durch die Phasenverschiebung gegenseitig fremd gemachten Tonspuren zirkulieren in diesem Prozess solange umeinander bis der Einklang wiederhergestellt ist. Die Stimme Clintons erklingt, gewissermaßen geläutert, wieder identisch mit sich und den an sie gestellten Ansprüchen. Zugleich gelingt es durch die Schichtung der Klangebenen, die zwei widerstreben Motive der Rede klar herauszustellen. Clinton begründet sein Fehlverhalten mit einem Übermaß an Macht. Diesem beunruhigenden Eingeständnis eines ehemaligen Präsidenten, steht dessen Inszenierung als Opfer – nichts anderes meint die Wendung to be in the doghouse – gegenüber. Dennis Graef eignet sich das Sprachmaterial an, verfremdet es bis zur Verdinglichung der Stimme, um es zum Interieur einer Büßerhütte zu machen. Dies ist auch ein Versuch des Wiedergewinns der Deutungshoheit über die Polit-Inszenierung. Clintons Selbstauslegung wird in den sinnfreien Ausdruck seiner Stimme überführt, mit der leeren Pose der Reue wird in voller Bedeutung Ernst gemacht.

Um Macht und die Macht des Bedeutens geht es auch in einer weiteren Klangskulptur von Dennis Graef, die ebenfalls auf einer Hundehütte als Resonanzkörper basiert. Dieser Prototyp eines Hauses, bei dem sich die Romantik eines friedlichen Heims mit Zwang und Unterordnung verbindet, erscheint als geeignetes Gehäuse für die Untersuchung der Mechanismen von Macht und Ohnmacht.
Bei HUMPTY DUMPTY (2012) ist die Hütte jedoch vernagelt. Über eine Art Schornstein oder Sendemast ist sie mit einem Vogelhäuschen verbunden. Eine ungleiche Freundschaft scheint die Hütte zu bestimmen. In sprunghaften Abständen versetzt eine dräuende Basswelle die mit den Farben des Star-Spangled Banner überzogene Hundehütte in Vibration. Im Innern der vernagelten Amerika-Hütte scheint es zu brodeln. Einen Anhaltspunkt für die mögliche Ursache dieser Spannungen gibt allein der Titel. Humpty Dumpty verweist auf die äußerst fragile Figur aus einem englischen Kindereim, die einmal zerbrochen nur schwer oder gar nicht zu reparieren ist. Humpty Dumpty spielt zudem in Lewis Carolls Through the Looking-Glass, and What Alice Found There (1871) eine Rolle. Dort weist er Alice auf das Problem intentionaler Bedeutungsakte in der Sprache hin, indem er die Frage nach den bedeutungsverleihenden Akten schlicht auf die Frage nach der Macht reduziert:

»Wenn ich ein Wort verwende«, [...] »dann bedeutet es genau, was ich es bedeuten lasse, und nichts anderes.«
»Die Frage ist doch«, sagte Alice, »ob du den Worten einfach so viele verschiedene Bedeutungen geben kannst.«
»Die Frage ist«, sagte Humpty Dumpty, »wer die Macht hat – und das ist alles.«

Die Hütte mit ihrer angedeuteten Freundschaft zwischen dem großen und dem kleinen Häuschen weist auf das vibrierende Verhältnis zwischen den Worten und ihren Bedeutungen. Eine Freundschaft unter Spannung, die auch Künstler, Kunstwerk und Betrachter verbindet. Die Frage, warum diese Amerika-Hütte vibriert, hängt davon ab, wer dieser Schwingung Bedeutung gibt. Ob sie beängstigend brodelt, oder eher droht zu zerbrechen, liegt in der Macht des Betrachters. Die Macht des Künstlers liegt vor allem darin, neue Bedeutungshorizonte zu eröffnen. Bei Dennis Graef besteht die Arbeit darin, bestehende Bedeutungsebenen miteinander zu verschränken. Dabei versetzt er den Betrachter nicht selten in die Rolle des Spürhunds. In seiner künstlerischen Produktion, die gekennzeichnet ist von Verweisen auf die meist amerikanisch geprägte Massenkultur, legt Dennis Graef die Versatzstücke gesampelten Bild- und Tonmaterials, Titelhinweise und Symbole aus wie eine Fährte von der man nicht ahnt, ob sie in die Hütte hinein oder in die Flut der Verweise hinaus leitet. Die Arbeiten sind so auch ein Spiegel der medialen Flut, die zur Erfahrung von Ohnmacht führen kann.
In einer weiteren Arbeit von Dennis Graef, die ebenfalls das Motiv der Hundehütte aufgreift, wird eine Perspektive eröffnet, die sich an dieses Thema anlehnt. In BUSTER (2014), einem Videoloop, sehen wir Buster Keaton immer wieder in eine Hundehütte hinein- und hinaushuschen. Das Material stammt aus Steamboat Bill, Jr. (1928), in dem die Hauptfigur und die sie umgebende Stadt zum Spielball eines übermächtigen Sturms werden. Der Rückzug in die Hütte lindert die Katastrophe nicht, der Ungnade dieser Naturgewalt ausgeliefert zu sein. In dem er das gesampelte Material stumm, gespiegelt und in Endlosschleife zeigt, verstärkt Dennis Graef die groteske Rein-Raus-Bewegung der Slapstick-Choreografie. Die Lage ist verzwickt: drinnen wie draußen, bleibt die Figur Objekt dieses Sturms. Das Motiv des to be in the doghouse ist hier als Aporie erfasst. Die künstlerische Strategie der Aneignung ästhetischen Materials wie sie Dennis Graef verfolgt, ist eine Möglichkeit Bedeutungen neu zu besetzen, um den Handlungsspielraum zurückzugewinnen. Dabei kreisen die Arbeiten um die Frage von Macht und Ohnmacht, frei nach Humpty Dumpty: wer die Macht hat, gibt den Worten ihre/seine Bedeutung.

Dennis Graef – Overglazed Aloha, Kunstverein Wolfsburg, 2014 [12.1 MB]


Justin Hoffmann

Dennis Graef und die Bedrohung

Die bildnerische Beschäftigung mit der Bombe hat bereits eine Reihe von bemerkenswerten Arbeiten hervorgebracht. Andy Warhols Atomic Bomb (1965) zählt sicherlich zu ihnen. Eine andere Arbeit befindet sich in der Städtischen Galerie Wolfsburg, die eines der Hauptwerke aus der Frühphase von Gerhard Richter, das Gemälde Bomber von 1963, ihr Eigen nennen darf. Auf diesem Bild ist eine Vielzahl von Bomben zu sehen. Es wird der Moment gezeigt, in dem die Bomber ihre Schächte öffnen, um ein Flächenbombardement in Gang zu setzen. Fliegerbomben sind Mittel großer Zerstörungskraft und werden von den Luftwaffen kriegsführender Staaten eingesetzt. Die militärischen Strategien haben sich seit den frühen 1960er Jahren stark verändert. Wie man am Beispiel von Afghanistan sehen kann, ist ein offizieller Friedensschluss nur ein relativer, solange kämpfende Einheiten diesen Frieden nicht anerkennen. Heute werden Bombenanschläge verübt, um Besatzungstruppen zu demoralisieren und eine politische Situation zu schaffen, die eine Herrschaft destabilisiert oder beendet. Egal ob Terrorismus, Guerillakrieg oder konventioneller Krieg: die Bombe spielt als Waffe eine zentrale Rolle. Sie verkörpert eine unmittelbare Lebensgefahr. Gerade nach dem 11. September 2001 wurde die Bombe zu einem Symbol für den Angriff auf die westlich-kapitalistische Gesellschaft durch Terrorismus. In öffentliche Gebäude oder Verkehrsmittel eingeschleuste, meist selbst fabrizierte Bomben empfinden viele als bedrohlichste Form von politischer Gewalt. Der NSU-Anschlag mit einer ferngezündeten Nagelbombe in Köln im Jahr 2004 belegt, dass der nationalsozialistische Terror in Deutschland auch vor der Verwendung von Bomben nicht zurückschreckt. 22 Personen wurden verletzt.

Imaginary Sound #01Diese verschiedenen Konnotationen, die eine selbstgebaute Bombe heute besitzt, sind der Ausgangspunkt für die Sound-Installation STARS AND STRIPES FOREVER von Dennis Graef. Neben dem Ertönen von wenigen Takten des US-Marsches Stars and Stripes Forever gehören zu dieser Arbeit Fotos von Gegenständen, die an Selfmade-Bomben erinnern. Sie tragen den Namen Imaginary Sound und sind durchnummeriert. Die Verbindung zwischen Klang und Bombe liegt allein schon nahe, wenn man die Etymologie des Wortes Bombe betrachtet. Es stammt aus dem Altgriechischen und bedeutet »dumpfes Tönen« und »Sausen«. Die Imaginary Sounds lassen sich jedoch nicht eindeutig als Bomben identifizieren. In der Tat sind sie funktionslos. Sie basieren auf vom Künstler produzierten Skulpturen. Rein formal gesehen sind die Objekte ausgesprochen ästhetisch. Sie sind aufgenommen wie Werbefotos. Von ihrer Umgebung isoliert lassen die Objekte an die Produktinformationsfotos des Onlineversandhauses Amazon denken. Im krassen Gegensatz zu ihrer assoziativ tödlichen Wirkung ist das Aussehen dieser Gebilde bunt-fröhlich. Dieses Paradoxon bringt den Rezipienten in eine zwiespältige Situation. Er fühlt sich von den interessanten, farbigen Objekten angezogen aber von der potentiellen Bedrohung, die von ihnen ausgeht, abgestoßen. Die Werke von Dennis Graef sind letztlich irritierend. Auch der verwendete Marsch ist weniger eindeutig (als Symbol für die militärische Stärke und Präsenz der USA) als erwartet. Das 1987 auf Betreiben von Präsident Ronald Reagan zum nationalen Marsch erklärte Musikstück wird auch von Varietés und Zirkussen als Alarmsignal für eine notwendige Evakuierung z.B. im Fall eines Brandes, verwendet. In der Installation von Dennis Graef ist die Musik sehr laut eingestellt, so dass der Ausstellungsbesucher in der Regel erschrickt, wenn die Anfangstöne von Stars and Strips Forever in unregelmäßigen Abständen gespielt werden. Vergleichbar zu Graefs Arbeiten HUMPTY DUMPTY, LOONEY TUNES und ABRACADABRA, wird in dieser Installation das Aggressionspotenzial der USA thematisiert und in einen direkten Zusammenhang mit Aufnahmen von Objekten gebracht, die US-Bürger als ihre größte Bedrohung empfinden. In Graefs Installation wird mit wenigen visuellen und akustischen Mitteln eine Spannung erzeugt, die einen Konflikt von globaler Bedeutung repräsentiert, der uns noch viele Jahre beschäftigen wird.

Dennis Graef – Stars and Stripes Forever, HBK Braunschweig, 2012 [6.8 MB]


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